SVENJA MAASS

Rehvision

Eine Wiederbegegnung mit der Künstlerin Svenja Maaß, Preisträgerin des zeitsicht Kunstpreises 2004

Die preisgekrönte Arbeit: »Lichtung«

190 x 190 cm | Öl auf Nessel | 2003

»Ich kann nicht mehr so viel Bier trinken«, sagt Svenja Maaß auf die Frage, was heute anders ist als im Jahr 2004. Sie lacht, es könnte ein Witz sein. Oder auch nicht. Die Frage nach Ernst oder Unernst ist Dreh- und Angelpunkt im Werk – gelegentlich auch in der Person – von Svenja Maaß. Wir treffen die Künstlerin im Sommer 2012 in ihrem Atelier in einem ehemaligen Kraftwerk in Hamburg. Wir sprechen mit ihr über die Höhen und Tiefen des Künstlerlebens, über ihre beruflichen Entwicklungen, über ihre Bilder, über Veränderungen in ihrem Privatleben, wie alles miteinander zusammenhängt und wie viel »nicht mehr so viel Bier« genau ist. Wir lachen viel und sind doch mit vollem Ernst bei der Sache. Wir nehmen uns Zeit für eine Sichtung der letzten acht Jahre, Zeitsicht eben.

 

 

Das Reh

Ist es Schabernack oder tiefgründige Symbolik, wenn ein Reh langbeinig auf der Lichtung steht und mit schimmernden Augen den Betrachter fixiert? Es wirkt wie ein Protagonist auf ausgeleuchteter Bühne, bereit zum Auftritt. Niemanden würde es wundern, wenn es zum Monolog über Sein oder Nichtsein anhübe. Es ist ein besonderes Wesen auf einer besonderen Lichtung und bewegt im Jahr 2004 die Jury von hauserconsulting dazu, der gebürtigen Bielefelderin den Kunstpreis zu verleihen und dies so zu begründen: »Die Arbeiten von Svenja Maaß sind ironisch und doppelbödig; ihre Arbeiten faszinieren, weil sie unsere Wahrnehmungsgewohnheiten in Frage stellen. Dabei ist die künstlerische Umsetzung von hoher maltechnischer und ästhetischer Qualität.«

Das war vor 8 Jahren.
Das Reh.
Der Preis.
Das Ende ihres Studiums.
Der Schritt in eine ungewisse Zukunft als freischaffende Künstlerin.

Die Preisträgerin ist zu diesem Zeitpunkt Meisterschülerin von Professor Klaus Stümpel an der HBK Braunschweig. Es sind die letzten Monate einer Zeit, in der das Leben noch Spiel ist: Bilder malen ohne Blick auf Marktwert oder Existenzsicherung, Pinseln im Elfenbeinturm ohne Steuererklärung, Akquise, Ateliermiete, allenfalls mit Bier. Dann ist das Studium zu Ende, der Ernst des Lebens (oder ist es der Unernst?) beginnt. Wie hat sich ihre künstlerische Laufbahn entwickelt? Welche Veränderungen stellten welche Weichen? Was macht das Reh heute?

 

 

Aufbruch

Mit dem Preis aus Augsburg endet nicht nur ihr Studium, er ist auch ein erster Schritt in Richtung Öffentlichkeit. Sich zeigen, den Wettbewerb mit anderen Künstlern aufnehmen, Kontakte knüpfen, Folgeprojekte. Sie sagt: »Die Ehrung meiner Arbeit »Lichtung« war die erste Auszeichnung, die ich explizit für meine Malerei erhalten habe. So konnte ich bestärkt ins Berufsleben starten« (Zeitsicht 1991-2011).

Dann beginnt, was man gemeinhin eine berufliche Existenz nennt. Im Gegensatz zu Menschen, die sich mit Strukturen, Regeln und mehr oder weniger klaren Anforderungen einer Organisation auseinandersetzen müssen, ist Svenja Maaß Chefin und Mitarbeiterin zugleich. Sie muss mit sich selbst klären, wohin die Reise gehen soll. Sie zieht nach Hamburg, um sich in einer Metropole zu bewähren und nicht in vertrauter Provinz auf vertrauten Pfaden zu wandeln: raus aus der Komfortzone, hinein ins kalte Wasser.

Das Wasser ist auch acht Jahre später nicht immer wohltemperiert und ihre frühere Erwartung, man sei irgendwann »fertig« als Künstler und könne sich zufrieden zurücklehnen, hat sich (leider oder zum Glück?) nicht erfüllt. Ihr erstes Atelier am neuen Standort teilt sie mit ihrem Studienkollegen Peter Nikolaus Heikenwälder. »Hauptberuflich« entwickeln beide ihre jeweilige malerische Position. Obendrein kooperieren sie projektweise, quasi im Nebenberuf, als Künstlerduo Heikenwälder & Maaß und machen in dieser Konstellation »fast alles außer Malerei«. Sie bestreiten gemeinsam Ausstellungen, beteiligen sich an Ausschreibungen und teilen sich die mühevolle Aufbauarbeit eines start-up-Unternehmens. Das Duo ist frech, voller Witz und Hintersinn, nahezu skrupellos – wie es in einem Ausstellungstitel für die Galerie Kunstleben in Hamburg anklingt:»Wir waren jung und brauchten das Gelb« (2006).

 

 

Positionierung

2008 gönnt sich das Duo eine schöpferische Pause, die Arbeit der Künstlerin als Solistin drängt voran. Die Qualitäten Humor und Hintersinn manifestieren sich dabei als Maaß‘sche Kernkompetenzen. Häufig erteilen die Bildtitel ihren Werken den Ritterschlag. Titel wie»Festhalten an Rot-Grün«, »Ilse und Bil« oder »Plusquamperfekt« machen neugierig, noch ehe man das Bild gesehen hat, so wie ihre Bilder neugierig machen auf die Titel. Denn nichts ist Zufall. Svenja Maaß ist dem arglosen Betrachter um viele Längen voraus. Sie treibt die Verfremdung der Verfremdung der Verfremdung so weit, dass die Frage nach Wahrheit und Dichtung, nach Inszenierung und Realität längst nicht mehr zu beantworten ist. Wer wie Svenja Maaß schon als Kind davon träumte, in einem großen aufgeschnittenen Sonntagsbrötchen zu schlafen, muss sich durch solche Fragen nicht aufhalten lassen. Vielmehr muss sie genau das (siehe »Einlieger« 2011) auf die Leinwand bringen: ihren unverwechselbaren Zugang zu einer Welt, die sich dem logischen, nüchternen und auf Eindeutigkeit hin trainierten Geist verweigert.

Aber kann sie auch malen? Jetzt müsste zwingend das Wort altmeisterlich fallen, wäre es nicht vom häufigen Gebrauch für ihre Malerei schon zu abgenutzt. Denn Svenja Maaß beherrscht tatsächlich das Handwerk der alten Meister: Sie gestaltet ihre Figuren detailgenau aus, hext ihnen wie ein Magier ein ausgesprochen eigenwilliges Wesen an und inszeniert sie wie ein listiger Regisseur. (Be-)Zaubernd setzt sie die Regeln von Raum und Zeit außer Kraft, bestimmend gibt sie ihren Figuren klare Anweisungen zu Haltung, Ausdruck, Subtext. Wenn nötig, schickt sie ihre Protagonisten auch mal von der Leinwand, weil sie die Rolle nicht ausfüllen, die sie ihnen zugedacht hat. Sie werden einfach übermalt! Manche Figuren durchlaufen einen aufwändigen Castingprozess, ehe das geeignete Schaf oder der passende Löwe gefunden ist (siehe »Tutti« 2010). Und woher weiß sie, wer in welcher Position wie im Bild aufzutreten hat? Nächste Frage! Sie weiß es einfach irgendwann. Magie muss man – besser gesagt: darf man – nicht erklären, sonst verschwindet sie. Eines darf man an dieser Stelle doch verraten: sie liebt ihr Personal und sie liebt, was sie tut.

 

 

Wunst

»Kunst kommt von Können nicht von Wollen, sonst müsste es ja Wunst heißen«, sagte Karl Valentin und muss dabei eine Künstlerin wie Svenja Maaß vor Augen gehabt haben. Sie will nicht nur, sie kann!

In den vergangenen acht Jahren hat sie Beachtliches geleistet. Die Liste ihrer Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen ist lang und reicht von der Kunsttreppe des Hamburger Abendblatts über das Museum Valmiera in Lettland bis zum Shanghai Zendai Museum of Modern Art in China. Wer den Kunstbetrieb kennt, weiß, wie viel Arbeit darin steckt: Kontakte machen, sie pflegen, Präsenz zeigen und dabei das Wesentliche nicht aus den Augen verlieren: das Schöpferische, also die Produktentwicklung. Svenja Maaß hat gelernt, dass eine Existenz als Künstlerin nur funktioniert, wenn unternehmerisches Denken das schöpferische Tun ergänzt. Zunächst entschied sie sich bewusst gegen die Vertretung durch eine Galerie, um alle Facetten des Berufes gründlich kennen zu lernen. Erst seit 2010 wird sie durch den Kunstraum H&H, Köln sowie die Galerie Kramer Fine Art, Hamburg, vertreten. Sie sagt: »Irgendwann ist eine Galerie als Multiplikator unabdingbar, auch wenn es gar nicht so einfach ist, eine gute zu finden.« Im Herbst 2012 wird die zweite Soloshow in ihrer Hamburger Galerie eröffnet. Der begleitende Katalog soll pünktlich zur Frankfurter Buchmesse erscheinen.

Wie lernen Künstler eigentlich Marketing? »Mühsam erworben, durch Einsicht und Üben«, sagt Svenja Maaß. Während ihre Ziele seit 2004 ausschließlich bestimmt waren von ihrem eigenen Qualitätsanspruch (hoch), von Ausstellungen (niveauvoll) und von Existenzsicherung (genug), ist im März 2011 ein neuer Parameter dazugekommen, der für eine gründliche Umstrukturierung ihrer Arbeitsabläufe gesorgt hat. Der Parameter heißt Elsa und fährt bevorzugt Bobbycar im Atelier.

 

 

Blick nach vorn

Im Sommer 2012 finden wir neben ihren Ölbildern in Größen von bis zu 250 cm x 380 cm überraschende neue Arbeiten vor. In der Serie »Vellums« inszeniert Svenja Maaß ihre Figuren neuerdings auf Transparentpapier. Ein Pudelschaf zeigt auf kleinstem Raum seine farbige Garderobe, Dosenwürstchen laden zum Zugreifen ein, schattenwerfende Fabelwesen spielen auf ihren Instrumenten. Die Motive scheinen im leeren Raum zu schweben, quicklebendig und berückend nah. Damit öffnet die Künstlerin einen neuen Raum, doch unverkennbar einen im Hause Maaß. Die nächste große Leinwand steht schon bereit. Wir sind gespannt. Svenja Maaß sagt: »Ich auch!«

Darüber hinaus: Welche Wünsche soll die hinlänglich bekannte Wunschfee der Künstlerin erfüllen? Wie soll ihre Karriere als Künstlerin in der Zukunft verlaufen? Die Antwort kommt entspannt und maaßvoll: »Die Basisfaktoren dürfen gerne so bleiben, mehr Zeit für die Praxis wäre schön, und ein paar Bilder sollen natürlich ins Museum.«

Tatsächlich verschieben sich die Ziele auf der Maaß’schen Anspruchsskala in der Regel unmerklich nach oben. Ihr innerer Kritiker achtet sorgsam darauf, dass ihre Werke keine Eintagsfliegen sind, sondern auf lange Sicht Gültigkeit behalten. Gäbe es für sie eine Alternative zum Beruf des freien Künstlers? Eine Professur vielleicht? Svenja Maaß sieht zwar die Vorzüge einer soliden Basis im Hochschulbetrieb, aber was sie wirklich will, ist etwas anderes: »Selbst Kunst machen.« Die Frage nach Doppelbödigkeit stellt sich an dieser Stelle nicht. Sie meint es bierernst.

 

Angelika von Aufseß

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