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MICHAEL GRUDZIECKI

zu Besuch bei ...

»Stolz darauf,
Teil dieses
Netzwerkes zu sein«

Nein, Menschen male er nie. Bei der Frage muss Michael Grudziecki nicht lange zögern. Der 36-Jährige steht in seinem Münchner Atelier, vor ihm zwei seiner neuesten Werke. Das eine zeigt eine Kirchturmspitze, die auf einem künstlichen Podest mitten im Meer thront. Das andere eine Art Baugerüst, oben drauf ein containerartiger Aufbau. Auch diese Konstruktion ragt irgendwo im Nirgendwo aus dem Meer. »Sea forts« heißt die Serie.

 

2005 hat der gebürtige Breslauer den damals 15. ZEITSICHT-Kunstpreis von hauserconsulting gewonnen. Neun Jahre sind eine lange Zeit – vor allem in einem noch relativ jungen Künstlerleben. Daher hatten wir ihn gefragt, ob wir nicht mal vorbei kommen könnten, um seinen Werdegang nachzuzeichnen.

 

Der erste Eindruck: Diesen Künstler kennen wir. Kurz getrimmter Bart, hager und höflich zurückhaltend – wie damals. Ein Nachdenker, kein Selbstdarsteller. Und auch »Sea forts« weckt durch den fotorealistischen Stil, das Primat der Architektur und die Menschenleere sofort Erinnerungen an die »Victory«-Serie, für die Grudziecki 2005 den Kunstpreis erhalten hatte.

 

Sein Atelier in Untergiesing passt zu ihm: unmünchnerisch bodenständig. Eine Klingel gibt es nicht. Man möge ihn anrufen, wenn man vor der Tür stehe, hatte er vorher gebeten. Und uns dann durch den Hof zum Hinterhaus geführt, eine alte Färberei. Die lange stillgelegten Tanks für Wasser und Chemie erinnern an die Arbeiter-Historie des Viertels im Münchner Südosten. Auch heute noch ist die bayerische Landeshauptstadt hier unnormal normal. Nachkriegs-Architektur von sehr überschaubarer Pracht, viel Kopfsteinpflaster, dazwischen Tattoo-Studios, Waschsalons und Kreativ-Büros. Das nächste Café heißt »Bald neu« – ein passendes Leitmotiv für Untergiesing.

 

Grudzieckis Arbeitsraum im zweiten Geschoss ist sparsam eingerichtet. Zahlreiche Hochregale für Farben, fertige Bilder und Habseligkeiten. Ein Schreibtisch, zwei Stühle und ein Kühlschrank, dem man vom Alter her maximal Energiesparklasse D zutraut. Seine Front zieren die gesammelten Alufolie-Deckel von Fünf-Minuten-Terrinen. An dem der Sorte Curry klebt ein Post-it »Sehr lecker«. Daneben Leergut. Wasser, Apfelschorle, Münchner Hell. Alles so normal, dass sogar die eine leere Flasche einer angesagten Öko-Limonade überkandidelt wirkt.

 

Auf Pomp legt Grudziecki keinen Wert. Wichtig ist ihm Platz – das gilt für die Formate seiner Kunst wie für sein Atelier: Drei Meter hoch sind die Decken, der Raum misst bald 30 Quadratmeter. Platz genug also für seine großteils übermannshohen Leinwände. In Schwabing oder der Innenstadt könne er sich solch ein Atelier sicher nicht leisten, sagt er. Und dass er froh sei, 2007 die alte Färberei gefunden zu haben.

 

Denn München sei eine schwierige Stadt für Künstler. Finanziell aufgrund hoher Mieten und der wenigen guten Ausstellungsräume, aber auch, was das Interesse an alternativen und aufstrebenden Künstlern angehe. »Das  Programm, das die großen Museen hier fahren, hat Weltniveau«, sagt Grudziecki. »Bei jüngerer Kunst dagegen schaut es schlechter aus. Auf den Vernissagen, wo ich bin, sehe ich immer die gleichen Leute. In der kleine Kunstgesellschaft hier fehlt das Interesse für die Liga darunter.«

 

Irgendwie passt das zu München. FC Bayern, Pinakotheken, Oktoberfest – Superlative goutiert man im »Millionendorf«. Was danach kommt? Ja, mei. »Es gibt daher hier einen ,Brain Drain’«, sagt Grudziecki. »Viele junge Leute gehen nach Berlin.«

 

Warum hat nicht auch er die Flucht ergriffen? »Berlin täte mir nicht gut. Ich könnte mich da nicht konzentrieren. Es ist eine Partystadt. Manchmal möchte ich einfach in Ruhe vor mich hinarbeiten und nicht immer irgendwo hingehen müssen.« Er habe sich in München eingerichtet, sagt Grudziecki und schiebt dann einen sehr interessanten Satz nach: »Inzwischen kann ich hier funktionieren.«

 

Funktionieren? Kühlschränke müssen funktionieren. Oder Organisationen. Aber Kunst?

 

»In gewisser Weise ja«, sagt er. »Ich muss ja irgendwie meinen Alltag bestreiten. Meist reicht es nicht, von dem zu leben, was die Kunst hergibt, und ich muss noch etwas dazu verdienen – etwa beim Aufbau von städtischen Ausstellungen. Insofern funktioniere ich als Teil des Kunstbetriebs.« Ökonomischer Realismus par excellence.

Michael Grudziecki vor seinem Bild »Sea forts 6«, Acryl und Acryllack auf Leinwand, 240 x 195 cm

»Eine Bilderserie zu malen, das ist so, als würde man einen Roman schreiben.«

Realismus ist es auch, der seit Grudzieckis Ausbildung an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe als Meisterschüler von Professor Gustav Kluge seine Arbeiten prägt – und der schon 2005 viele Gäste der ZEITSICHT-Verleihung begeisterte. Fotografisch exakt fertige er in seiner Bilderfolge »Victory« Portraits von Überwachungskameras: an Hauswänden, auf Plätzen, in der U-Bahn. »Ihm gelingt es in überzeugender Weise, die Spannung zwischen Kontrolle und Freiheit, zwischen Macht und Angst, zwischen Krieg und Frieden sichtbar zu machen«, hieß es damals in der Laudatio. Insofern passte »Victory« perfekt ins Augsburger Friedensjahr 2005.

 

Und heute ist die Serie, die ursprünglich als Diplomarbeit in Karlsruhe begonnen hatte, aktueller denn ja. NSA, Google, der Ukraine-Krieg – überall geht es ums Observieren. Um Überwachung. Um Deutungshoheit über die Wahrheit. »Ich bin überrascht, wie schnell sich das entwickelt hat«, sagt Grudziecki. »Ich habe damals die Anfänge der Beobachtung im öffentlichen Raum gemalt und vielleicht geahnt, dass sie relevanter wird. Aber ich habe nie erwartet, wie allgegenwärtig das Phänomen wird.«

 

Man müsse gar nicht das Extrembeispiel NSA bemühen, sondern brauche nur die Kameras zu sehen, die überall die Städte beobachten. »In manchen Metropolen gibt es keinen öffentlichen Ort mehr, wo man nicht permanent aufgenommen wird. Nur fällt es uns kaum mehr auf. Die Geräte haben ja auch komplett ihr Aussehen verändert. Es ist viel weniger auffällig, wenn jetzt Kameraaugen in U-Bahnen hängen, als wenn früher klobige Kästen an Wände montiert waren.«

 

So ein klobiger Kasten war es auch gewesen, der ihn zur »Victory«-Serie inspiriert habe: Im Guggenheim-Museum in Bilbao hing er und filmte alle Besucher. Ästhetisch und technisch habe ihn die Überwachung sofort interessiert. »Zugleich hat sie mich aber extrem gestört, weil sie es tun, ohne uns zu fragen. Und weil diese Macht gefährlich ist.« Bei solchen Gegensätzen in der Wahrnehmung setzen Grudzieckis Bilderserien häufig an. »Wenn ich mich mit etwas beschäftige, dann oft, weil es mich einerseits fasziniert, andererseits aber auch abstößt. Daher habe mich mit meinen Mitteln auch gegen die Kameras gewehrt: indem ich abbilde, was mich abbildet.«

 

Die Serie begleitet ihn noch heute: »Am interessantesten finde ich, wie viele Menschen sich damit abgefunden haben, dass sie nicht mehr Herr sind über ihre Außenwirkung.« Dass viele kapituliert hätten, was das Recht am eigenen Bild angehe. »Früher hattest du den Luxus, nur die Fotos zu zeigen, die dir gefallen haben. Das gibt es heute nicht mehr. Aber die Leute scheint es gar nicht zu stören. Das wundert mich am allermeisten.«

 

Zumal es nicht die Kameras sind, die uns überwachen, sondern auch unsere Smartphones, Tablets und Laptops. Grudziecki hat auf seinem Handy die GPS-Ortung für alle Apps ausgestellt, die sie nicht unbedingt brauchen. Und die Daten, die er im Internet speichert oder verschickt, wählt er meist sehr bewusst aus. »Aber ich mache das auch nur begrenzt. In gewissem Maße habe ich auch selbst kapituliert.«

 

Kritisch betrachtet, ist er mit »Victory« also gescheitert, oder? »Das könnte man so sagen.

Aber dann bin ich halt der Don Quichote. Dann werde ich eben noch zehnmal scheitern. Ich sehe meine Arbeit als getan an, wenn ich aufmerksam gemacht habe.«

 

Observation ist auch bei den 2011 gestarteten »Sea forts« ein Leitmotiv – wenn auch nicht im technischen Sinne. »Die Serie habe ich begonnen, als ich ziemlich viel um die Ohren hatte. Ich habe Orte gemalt, an die man sich zurückziehen kann, wo man mit sich selbst ist.« Sehnsuchtsorte? Grudziecki nickt, den Begriff mag er. »Auf jeden Fall Orte, wo man nicht so leicht hinkommt – weder ich selbst noch irgendwelche Störer. Aber auch Orte, wo man den Überblick behält.«

 

Die Inspiration für »Sea forts« war ein Zufallsfund im Internet gewesen: Dort war Grudziecki auf Fotos von vor sich hin rostenden Geschütztürmen in der Themsemündung gestoßen. Die Briten hatten sie dort zum Schutz vor deutschen Flugzeugen im Zweiten Weltkrieg errichtet. »Auf einem dieser Türme entstand später ein Piraten-Radiosender «, erzählt Grudziecki. »Das fand ich witzig, dass ein Ort, der für den Krieg gebaut worden war, später für Unterhaltung sorgte.«

 

Die »Sea forts« sind – wie schon »Victory« und drei weitere, dazwischen liegende Serien, auch wieder Architektur-Bilder. Architekturen ersetzen bei Grudziecki die Menschen. »Ich denke, dass man viel vom Menschen zeigen kann, wenn man sieht, was er geschaffen hat und in welcher Umgebung er sich bewegt.« Seine Bauten sind dabei keine realen Gebäude, sondern oft Montagen aus verschiedenen existierenden Bauten, die Grudziecki im Internet gefunden oder unterwegs abfotografiert hat, teils aber auch komplett fiktive Objekte. In »Sea forts« wirken sie – wie die Kirchturmspitze auf offenem Meer – oft skurril-deplatziert. Im technoiden Kontext von »Victory« eher bedrückend realistisch.

 

Spiegelt die Kunst seinen persönlichen Werdegang? »Ich denke, beides bedingt einander.

Bei mir hat sich auch vieles verändert. Ich bin immer noch voller Energie, aber ich sehe auch, dass das Leben nicht so einfach ist als Künstler.« Sei es wirtschaftlich, oder aber mit Blick auf neue Themen. Themen, die so viel Potenzial haben, dass man sich zwei, drei Jahre daran »abarbeiten« kann, wie Grudziecki es nennt. »Eine Bilderserie zu malen ist so, als würde man einen Roman schreiben. Wenn die Geschichte nicht genug hergibt, dann brauchst du gar nicht erst anfangen.«

 

Genug hergeben muss sie auch im produktiven Sinne. Denn die – neudeutsch – Output-Maximierung wird für ihn immer mehr zum künstlerischen Imperativ: »Das Internet hat die Wahrnehmung von Künstlern entscheidend verändert. Denn man kann immer nachgucken, was wer gerade gemacht hat. Daher musst Du viel mehr arbeiten. Wenn Du nicht ständig sichtbar bist mit neuen Bildern, dann verschwindest Du vom Radar.«

 

Früher habe es gereicht, eine Ausstellung im Jahr zu präsentieren. Heute stellt er jedes Jahr – meist im Rahmen seiner selbst gegründeten Künstlervereinigung V8 – bei drei bis vier Gruppenausstellungen aus, dazu ein bis zwei Mal solo, betreibt den Street Art Blog »1000 Containers« und macht nebenbei noch Eigen-PR via Facebook und Newsletter.

 

Entsprechend überholt ist offenbar auch das Klischee vom künstlerischen Laissez-faire. Fragt man Grudziecki nach seinen Hobbys, ist die erste Antwort Schweigen. Er gießt sich Apfelschorle nach, überlegt: »Ich gucke hin und wieder mal Formel 1«, sagt er dann. Und sonst? »Eigentlich nichts: Als Künstler hast Du keine anderen Hobbys mehr. Die Kunst erfordert so viel Energie und Zeit, da bleibt nicht mehr viel.«

 

Oft sei er bis zwei, drei Uhr nachts im Atelier, auch feiertags und an Wochenenden. Seine Freundin arbeitet als Drehbuchautorin und pflegt ähnliche Arbeitsrhythmen, insofern sei das zumindest für die Beziehung kein Problem. »Ich glaube, dass es bei den meisten Leuten, die Kunst machen, ähnlich ist. Das muss eine Berufung sein. Wenn Du es nur als Beruf siehst, dann rechnet es sich einfach nicht – so viel, wie du reinstecken musst. Weder finanziell noch in puncto Wertschätzung. Wenn es keinen juckt, was Du machst. Und es gibt viele Leute, bei denen das so ist.«

 

Gerade daher hält der 36-Jährige auch Kunstpreise wie ZEITSICHT für so wichtig: »Gar nicht so sehr wegen des Preisgeldes«, erklärt er. »Sondern weil es für mich eine ehrliche Wertschätzung war. Ein Beweis, dass Menschen Spaß haben an meiner Arbeit. Damals, kurz nach meinem Studium, war das für mich ganz wichtig als Bestätigung, dass ich auf dem richtigen Weg war.« Seit 2005 ist bei fast jeder Verleihung in Augsburg gewesen. »Weil ich es als künstlerische Inspiration sehe, und weil ich stolz bin, Teil dieses Netzwerkes zu sein. Der Preis wächst mit jedem Jahr – das ist sehr angenehm zu beobachten.«

 

Und: ZEITSICHT hat – indirekt zumindest – dazu geführt, dass Grudziecki dann doch einmal Menschen abgebildet hat. Denn er nutzte das Preisgeld, um danach in Spanien arbeiten zu können. In Bilbao hatte er ein Stipendium erhalten, das finanziell etwas eng bemessen war. Und dort musste er eine Straßenszenerie malen. »Da waren dann wirklich einmal ein paar Menschen zu sehen.«

 

 

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