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Jean Katambayi Mukendi

Sammy Baloji

Interview

»Kunst bietet eine Plattform, um unsere Gesellschaft zu reflektieren«

Interview MIT laudator Sammy Baloji

 

Die heutige Globalisierung hat ihre Wurzeln im Kolonialismus und somit auch in einem System von Unterdrückung und Abhängigkeiten. Inwiefern kann Kunst solche Themen reflektieren? Bei der diesjährigen Ausgabe des Zeitsicht Art Awards steht der (Post-) Kolonialismus explizit im Fokus. Der 40-jährige Sammy Baloji ist ein kongolesischer Foto- und Videokünstler, der bereits auf der Documenta 14 vertreten war. Als Laudator der diesjährigen Zeitsicht-Edition hat er seinen Kollegen Jean Katambayi Mukendi für den Preis nominiert. In unserem Interview spricht Baloji über ihren gemeinsamen künstlerischen Ansatz, Katambayi Mukendis Arbeitsweise und soziale Fragen im Kongo. Auf Letztere hat auch die deutsche Politik entscheidende Einflüsse, schließlich bildete die von Reichskanzler Bismarck einberufene Kongokonferenz von 1884/5 die Grundlage für die Aufteilung Afrikas in Kolonien und die anschließende Ausbeutung.

 

Herr Baloji, warum haben Sie Jean Katambayi Mukendi für den Zeitsicht Art Award 2019 nominiert?

Sammy Baloji: Wir kommen aus der gleichen Stadt, aus Lubumbashi. Seit längerem verfolge ich seine künstlerische Arbeit, und wir haben auch bereits in der Vergangenheit zusammengearbeitet. In unseren Werken setzen wir uns beide mit verschiedenen Aspekten des Postkolonialismus auseinander. Mir ist sehr wichtig, immer wieder das Bewusstsein für dieses Thema zu schärfen.

 

Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Ihren und seinen Kunstwerken?

Unsere Arbeiten unterscheiden sich zwar sicherlich hinsichtlich ihrer Gestalt und der verwendeten Materialien, aber sie ähneln sich auf inhaltlicher Ebene. Wir thematisieren zum einen bestimmte Entwicklungen im Kongo, die aus dem kolonialen Erbe resultieren. Zum anderen befassen wir uns aber auch mit dem chaotischen postkolonialen Zustand, den wir selbst durchlebt haben. Das ist nicht nur für uns persönlich interessant, sondern auch politisch aufgeladen. Und natürlich spielt auch der soziale Aspekt eine zentrale Rolle. Da es sich um eine postkoloniale Gesellschaft handelt, gibt es immer noch deutlich spürbare Barrieren zwischen den sozialen Schichten.

 

Wie kamen Sie selbst zu dieser Kunst?

Mein Zugang zur Kunst ist durchaus ein politischer: Ich sehe darin eine Möglichkeit wie auch eine Notwendigkeit, den stetigen Verlauf der Abschottung zu thematisieren. Kongo wurde 1960 ein freier Staat, wurde aber in den vergangenen Jahrzehnten von Diktatur regiert. Lange Zeit war unser Land ein Spielzeug der Weltpolitik. Während des Kalten Krieges wollten die USA uns kontrollieren, denn in den Minen befand sich Uran, das für den Bau von Atombomben zentral ist. Offensichtlich wollten die Vereinigten Staaten verhindern, dass die UdSSR hier Zugang erhält. Als der Kalte Krieg zu Ende ging, erachteten sie es nicht mehr für wichtig, sich an den Vorgängen in der Region zu beteiligen. Die 90er-Jahren gab es zwar demokratische Fortschritte, zugleich aber auch Korruption und Bürgerkrieg. Letztlich wurden alle Grenzen kontrolliert – und das ganze Volk war vom Rest der Welt völlig abgeschnitten.

 

In dieser Atmosphäre begann Ihre künstlerische Karriere …

Ja, das war eng mit den eben erwähnten Einschränkungen verbunden. In der Schule kamen wir mit Comics aus Europa in Kontakt, vor allem aus Belgien, der früheren Kolonialmacht. Aber die meisten von uns konnten sich diese Bücher nicht leisten, also begann ich, meine eigenen Comics zu zeichnen. Hier begann meine Leidenschaft für die Kunst. Außerdem wollte ich das jahrzehntelange Leid der Menschen im Kongo thematisieren, auch über das Ende des Kolonialismus hinaus. Ich wuchs in der Provinz Katanga auf, einem Bergbaugebiet. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs waren unsere Mineralien eine Zeitlang nicht mehr so gefragt, also vergaß uns die Welt. Katangas Hauptstadt, mein Herkunftsort Lubumbashi, wurde ein Symbol für den Verfall des zentralafrikanischen Staats. Das ganze Land entwickelte sich zu einer verwaisten und fragilen Nation.

 

Warum glauben Sie, dass Kunst ein geeigneter Kanal ist, um zu einer besseren Zukunft beizutragen? Wäre es nicht wirkungsvoller, Politiker zu werden, um repressive Themen anzugehen?

Kunst bietet andere Perspektiven und ermöglicht so neue Debatten über die Gesellschaft und ihre Probleme: Das Kunstwerk ist stets das Resultat einer Beobachtung und Reaktion auf das, was um einen herum ist. Es geht nicht darum, Lösungen zu finden, sondern vielmehr Fragen aufzuwerfen.

 

Was sind denn die wichtigsten Fragen im heutigen Kongo?

Es geht mir nicht nur um dieses Land. Es geht um das ganze Kolonialsystem, den Kapitalismus, die Globalisierung. Als dieser Staat im 19. Jahrhundert der Privatbesitz des belgischen Königs war, kamen dessen Geschäftspartner aus dem Ausland, um die Ressourcen auszubeuten. Das war der Beginn des Kapitalismus in Katanga. In den letzten Jahrzehnten war es genauso: Private Unternehmen kamen, um in unserem Land Geld zu verdienen. Firmen sind inzwischen oft die stärkeren Kräfte im Bündnis mit Regierungen. Es ist eine andere Art von Kolonialsystem. Aber es führt ebenfalls zu massiver Ungerechtigkeit.

 

In welcher Hinsicht?

Ein Beispiel: Viele Handys und Computer enthalten Metalle wie Kupfer, Gold oder Tantal aus dem Kongo. Die Metalle kommen aus unseren Minen werden also größtenteils außerhalb unseres Landes verwendet und reisen um die ganze Welt. Im Gegensatz dazu können sich die meisten Menschen von hier nicht frei bewegen, dürfen nicht reisen, um das Land zu verlassen. Doch kaum jemand im Ausland nimmt davon Notiz. Die Welt ist nur an unseren Mineralien interessiert, aber nicht an uns.

 

Wie ist es heute, als Künstler im Kongo zu arbeiten? Welche Einschränkungen gibt es für Menschen wie Sie oder Jean Katambayi Mukendi?

Ich finde nicht, dass wir frei sind – aber auch nicht völlig unfrei: Wir versuchen, ein demokratisches System zu schaffen, doch der Weg dorthin ist noch nicht fertig. Deshalb geht es bei der Arbeit als Künstler auch immer darum, neue Spielräume mit den Behörden zu verhandeln.

 

Gibt es Freiheit der Künste?

Auf den Punkt gebracht: Solange sich das Regime nicht angegriffen fühlt.

 

Werfen wir einen Blick auf Jean Katambayi Mukendis Kunst: Was ist das Besondere daran?

Jean ist Techniker und Künstler zugleich. Er hat einen ingenieurwissenschaftlichen und mathematischen Hintergrund, er verbindet Wissenschaft und Kunst – zwei auf ganz unterschiedliche Weise abstrakte Themengebiete. Zugleich sucht er nach Antworten für konkrete Probleme. Viele seiner Skulpturen sehen sehr technisch aus, enthalten Materialien wie Kabel, LED-Lampen oder Schalter und folgen genauen Bauplänen. Sie sehen aus, als hätte sie ein Ingenieur konstruiert – was ja auch stimmt! Für mich haben seine Kunstwerke eine besondere Sensibilität; sie vereinen die materielle und die symbolische Ebene.

 

Inwiefern ist Jean Katambayi Mukendis Nominierung für den Zeitsicht-Award auch ein Karrieresprungbrett?

Für jeden Künstler ist es interessant, seine Werke zu zeigen. Dies kann Türen öffnen und helfen, ein neues Publikum zu finden. Für Jean gibt es durch den Preis einen Adressatenkreis mit einer ganz anderen kulturellen Sozialisation. Die meisten von ihnen erfahren zum ersten Mal etwas über die Geschichte und Gesellschaft des Kongos. Somit könnte die Begegnung für beide Seiten ein großer Gewinn sein. Für einen Künstler ist dies eine gute Möglichkeit sich selbst zu reflektieren. Das Gleiche gilt sicherlich auch für das Publikum.

 

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